Das verlorene Paradies

Buchseite und Rezensionen zu 'Das verlorene Paradies' von Abdulrazak Gurnah
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Inhaltsangabe zu "Das verlorene Paradies"

Ostafrika, Ende des 19. Jahrhunderts: Der zwölfjährige Yusuf führt mit seiner Familie ein einfaches Leben auf dem Land. Als der Vater sich mit seinem kleinen Hotel verschuldet, wird Yusuf in die Hände von Onkel Aziz gegeben und landet im lebhaften Treiben der Stadt, zwischen afrikanischen Muslimen, christlichen Missionaren und indischen Geldverleihern. Die Gemeinschaft dieser Menschen ist alles andere als selbstverständlich und von subtilen Hierarchien bestimmt. Yusuf hilft in Aziz‘ Laden und bei der Pflege seines paradiesisch anmutenden Gartens. Doch als der Kaufmann ihn auf eine Karawanenreise ins Landesinnere mitnimmt, endet Yusufs Jugend abrupt. Die gefährliche Unternehmung bringt Krankheit und Tod und zeigt allen Teilnehmern schmerzhaft, dass die traditionelle Art des Handels keine Zukunft mehr hat. Was Yusuf erlebt, lässt ihn erwachsen werden. So verliebt sich der junge Mann nach seiner Heimkehr kopfüber, aber er und alle um ihn herum werden brutal mit der neuen Realität der deutschen Kolonialherrschaft konfrontiert. Einfühlsam, lebendig und in leichtem, humorvollem Ton, erzählt Abdulrazak Gurnah in »Das verlorene Paradies« vom Erwachsenwerden in Zeiten des kolonialen Umbruchs. Im Original 1994 erschienen, stand der Roman u.a. auf der Shortlist des Booker Prize und stellte für Gurnah den Durchbruch als Schriftsteller dar. Jetzt ist er endlich wieder in der Übersetzung von Inge Leipold auf Deutsch zu lesen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:336
EAN:9783328602583

Rezensionen zu "Das verlorene Paradies"

  1. Paradies oder Hölle?

    Es ist fast die Regel, dass ich beim Namen des neuen Nobelpreisträgers oder der Nobelpreisträgerin für Literatur ahnungslos mit den Schultern zucke, so auch 2021 bei Abdulrazak Gurnah. Allerdings weckte die für alle unerwartete Wahl dieses Mal sofort mein Interesse, waren doch die Stimmen einhellig positiv, der Prämierte in den ersten Interviews sehr sympathisch und sowohl die Thematik seiner Werke als auch die Region, in der sie angesiedelt sind, klangen sehr verheißungsvoll. Ich freute mich daher sehr, dass der Penguin Verlag pünktlich zur Preisverleihung im Dezember 2021 Gurnahs 1994 für den Booker Prize nominierten Roman "Das verlorene Paradies" in einer sehr geschmackvoll gestalteten Ausgabe mit großzügigem Druck und Lesebändchen wieder auf Deutsch zugänglich machte.

    Der Schauplatz: Ostafrika um 1900
    Ostafrika war lange vor der Kolonialisierung durch Engländer und Deutsche ein Schmelztiegel der Nationen, Kulturen, Sprachen und Religionen. Afrikaner, Araber und Inder lebten zwar nicht friedlich, aber in gewachsenen Strukturen nebeneinander. Diese keineswegs perfekte Welt kurz vor ihrer endgültigen Zerstörung steht in Das verlorene Paradies im Mittelpunkt, nicht die europäischen Kolonialmächte, die sich bereits überall im Land breitmachen.

    Yusuf
    Mitten in dieser Welt wächst Yusuf auf, Sohn armer Eltern aus dem Landesinneren, dessen Erwachsenwerden wir miterleben. Seine Kindheit endet abrupt in seinem zwölften Lebensjahr, als er einem reichen arabischen Kaufmann als Pfand zufällt. Er muss ihm in eine große Stadt am Meer folgen, dort in seinem Laden arbeiten und ihn später auf seinen Handelszügen zu den „Wilden“ begleiten. Der hübsche junge Mann erregt Aufsehen und weckt die Begierde von Männern und Frauen gleichermaßen.

    Erst allmählich begreift Yusuf, dass der Geschäftsmann nicht, wie er dachte, sein Onkel, sondern sein Seyyid, sein Herr, ist, und dass er, der immer von Albträumen gequält wird, nie die ersehnte Freiheit erlangen wird:

    „Sie haben uns dazu erzogen, ängstlich und gehorsam zu sein, sie zu ehren, selbst wenn sie uns missbrauchen.“ (S. 303)

    Das Einzige, was in dieser von Gewalt, Derbheit, Obszönität und Hierarchien geprägten Männerwelt paradiesisch erscheint, ist der Garten des Seyyid:

    "Das Haus, in dem wir wohnten, hatte einen wunderschönen Garten, mit einer hohen Mauer rundherum. Mit Palmen und Orangenbäumen und sogar Granatäpfeln und Wasserrinnen, mit einem Teich und duftenden Sträuchern." (S. 88/89)

    Für Leserinnen und Leser mit Vorwissen
    Mit Abdulrazak Gurnah hat das Nobelpreiskomitee einen 1948 im ostafrikanischen Sansibar geborenen Autor auszeichnet, der bereits 1967 als Bürgerkriegsflüchtling nach Großbritannien kam, dort bis zu seinem Ruhestand Professor für Anglistik und postkoloniale Literatur war, seine zehn Romane auf Englisch verfasste und sich heute für andere Flüchtlinge einsetzt.

    Ohne Vorkenntnisse über die Region und die Zeit erschloss sich mir Gurnahs Erzählabsicht nur schwer, obwohl der Roman vordergründig nicht kompliziert zu lesen ist. Zum besseren Verständnis hätte ich unbedingt ein ausführliches Vorwort über die politische und gesellschaftliche Situation in Ostafrika um 1900 sowie die Koranbezüge des Textes und eine Landkarte gebraucht, um die vielen Episoden und Dialoge besser einordnen zu können. Trotz aller euphorischer Kritiken des Feuilletons gehört "Das verlorene Paradies" für mich deshalb zu den Romanen, die man durchaus lesen kann, um eine unbekannte Welt und einen empathisch gezeichneten Protagonisten kennenzulernen, die man jedoch nicht unbedingt lesen muss.

  1. Welches Paradies?

    Als Pfand für die Schulden seines Vaters wird der 12-jährigen Yusuf von seinem Onkel Azis mitgenommen, mehrere Tagesreisen entfernt! (Ostafrika, Ende des 19. Jahrhunderts) Fortan lebt er aber nicht als Verwandter im Haushalt des Onkels, sondern als weiterer Mitarbeiter des Handelshauses von Aziz, dem Kaufmann.

    Khalil, ein junger Mann und Angestellter, nimmt Yusuf unter seine Fittiche und bringt ihm bei, was er im Laden wissen musste. Er fragt ihn über sein altes Leben aus und klärt ihn über das neue auf, auch darüber, dass Azis nicht als Onkel anzusprechen ist, sondern mit ‚Seyyid‘. Sie schlafen beide auf dem Boden der Terrasse vor dem Laden: tagsüber Ladenverwalter und nachts Wachmänner. Khalil beschimpft ihn unter anderem mit ‚Kifa urongo‘ (lebendiger Leichnam) und Ohrfeigen setzt es außerdem.

    Einige Jahre später wird Yusuf auf eine Handelsreise mitgenommen, damit er ‚den Unterschied zwischen dem Leben in der Zivilisation und bei den Wilden kennenlernt‘. Wir lesen von den Herausforderungen solcher Reisen mit ihren klimatischen und sonstigen Beschwernissen, den Umgang mit Sultanen, den brutalen Umgang mit den Trägern und auch den Umgang mit Toten. (‚Manchmal werfen sie sie in den Busch, obwohl sie noch am Leben sind, und überlassen sie den wilden Tieren zum Fraß.‘)

    Auch die Geheimnisse des Hauses und seiner Mitbewohner lernt Yusuf immer besser kennen!

    Aufgeschlossen für andere Kulturen (schon durch meine Familie bedingt) und vergangene Zeiten, vermisste ich bei diesem Buch das Feuer, das bei mir normalerweise durch diese Art von Schilderungen entfacht wird! Da kam nichts!

    Was mich gewaltig störte: der Umgang miteinander! Da wird permanent gegenseitig ausgelacht und Wertschätzung konnte ich überhaupt keine beobachten!

    Ich hatte mir mehr von einem Buch erwartet, dessen Autor dafür den Literatur-Nobelpreis 2021 erhielt! Mehr als 3 Sterne kann ich leider nicht vergeben!